Johannes Lepsius (1858-1926) war eine Ausnahmefigur des deutschen Protestantismus im Ersten Weltkrieg. Während des ganzen Krieges, so die New York Times 1919, gab es keinen mächtigeren Beweis für die türkischen Verbrechen in Armenien als jene, die Johannes Lepsius persönlich vor Ort untersucht und 1916 heimlich in Potsdam unter dem Titel »Die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei« veröffentlicht hat. Lepsius zitierte in seinem Bericht sogar Verlautbarungen, die nach den üblichen Maßstäben des Krieges eigentlich als Feindpropaganda zu gelten hatten. Zum Beispiel die folgende Erklärung der Ententemächte vom 24. Mai 1915: »In Anbetracht dieses neuen Verbrechens gegen Menschlichkeit und Zivilisation geben die alliierten Regierungen der Hohen Pforte öffentlich bekannt, dass sie alle Mitglieder der türkischen Regierung sowie diejenigen ihrer Beauftragten, die an solchen Massenmorden beteiligt sind, in Person verantwortlich machen.«
Die politische Ethik kam bei ihm immer an erster Stelle. Deutlich wurde das bereits während einer heftigen Kontroverse zwischen Lepsius und Friedrich Naumann auf dem Evangelisch-Sozialen Kongress 1900 in Karlsruhe. Im Unterschied zu der nicht unbeträchtlichen Anzahl von Personen im deutschen Reich, die genau wussten, was in der Türkei vor sich ging, beschloss er 1915, nicht aus Gründen der Staatsräson und des Kriegszustands zu schweigen. »Das Gewissen des Staatschristentums«, meinte er in dieser Zeit, »fühlt sich bei solchen Interessengegensätzen leicht versucht, das was menschlich geboten ist, dem was politisch bequem ist, unterzuordnen.« Lepsius tat dies nicht. Seine klarsichtige Analyse der destruktiven Potentiale eines extremen Nationalismus und seine Bereitschaft, das Schweigen zu brechen und ethisch-internationalistische Beweggründe über die eigene Staatsräson zu stellen, lassen ihn auch heute noch als eine deutsche Ausnahmefigur erscheinen. Die Konferenz versteht sich auch als eine Bestandsaufnahme der bisherigen Forschungen über Leben und Wirken von Johannes Lepsius.
Die Konferenz wurde von der Landeszentrale für Politische Bildung Brandenburg gefördert.