Als Hannah Arendts Reportage über den Prozess gegen Adolf Eichmann 1963 im New Yorker erschien, waren die anhaltenden Empörungen und Entrüstungen über die These von der »Banalität des Bösen« nicht abzusehen. Was so überraschte, war die Schilderung eines Täters, der »erschreckend normal« wirkte und nichts mit den zutiefst grausamen Verbrechen der Nazis zu tun haben schien. Waren alle TäterInenn in NS-Deutschland ganz normale Männer und Frauen? Diese Frage ist besonders 1996 während der Goldhagen-Kontroverse, in der die Frage nach der Motivation der Täter zum ersten Mal in den Mittelpunkt einer historiografischen Debatte rückte, diskutiert worden. Gekoppelt mit der von Martin Broszat 1969 angestoßenden Auseinandersetzung intentionalistischer oder funktionalistischer Begründungen für die Ursachen der Shoah, halten bis heute Fragen nach Motiven und Organisation genozidaler Gewalt an.
Der Vortrag zeichnet die genannten Debatten historiografisch nach und kontextualisiert diese mit sozialpsychologischen Erkenntnissen aus der Genozidforschung. Dabei zeigt sich, dass weder intentionalistische noch funktionalistische Begründungsmuster hinreichend sind, um genozidale Gewalt zu verstehen. Stattdessen ist ein Ansatz fruchtbarer, der eine ideologisch und institutionell geformte Handlungspraxis betont. Dabei wird im Zusammenspiel von Emotionen wie Hass oder Ressentiment mit bestimmten hierarchischen Ogranisationselementen ein kollektiver Körper geformt, der einen Sinn der jeweiligen genozidalen Gemeinschaft stiftet: Zu Säubern und zu Vernichten. Wie diese »vorgestellten Gemeinschaften« in konkrete Gewaltdynamiken umschlagen, wird am Beispiel der Jungtürken vor und während des ersten Weltkrieges und ihrer Rolle in der prozessualen Entfaltung des Völkermords an den Armeniern dargestellt.
Vortrag im Rahmen der Tagung »Armenische Identität 1915 - 2015. Gewalt, Geschichte, Gegenwart«, 20.-21. März 2015, veranstaltet von der Evangelischen Akademie Bad Boll in Kooperation mit Heinrich Böll Stiftung Baden Württemberg, Ulmer Volkshochschule, Ulmer Volkshochschule - vh ulm, Kommunales Kino Göppingen e. V., Diözese der armenischen Kirche Deutschland