Während seiner Zeit in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts vertonte der armenische Komponist Komitas (Soghomon Gevorki Soghomonian, 1869-1935) Goethes Gedicht »Meeresstille«:
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.
Mit dem Wissen um sein Schicksal – Komitas überlebte schwer traumatisiert den Genozid an den Armeniern und verlor darüber seine Stimme als Künstler – erscheint der Text wie eine dunkle Prophezeiung. Bis heute bringt die Türkei Andersdenkende zum Schweigen. Wie eine erlernte Kulturtechnik perpetuieren Regierung um Regierung erfolgreich dieses Vorgehen. In der Ära Erdoğan jedoch scheinen neue Untiefen erreicht. Gegen die erzwungene Stille stellt sich Marc Sinan mit seiner Lecture Performance, in der er seine eigene Betrachtung mit musikalischen Interventionen verbindet, die sich aus seinen verschiedenen musiktheatralen und musikalischen Projekten in Gedenken an die Ereignisse von 1915 speisen.
Marc Sinan ist Komponist und Gitarrist. Er ist Enkel einer Armenierin und beschäftigt sich intensiv mit Fragen nach Zugehörigkeit und transmedialer Zusammenarbeit zwischen Kulturen und Künsten. Gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern erhielt er 2011 den Sonderpreis der Deutschen UNESCO-Kommission. Im Jahre 2015, anlässlich des 100. Jahrestages des Völkermordes an den Armeniern, wurde im Berliner Maxim-Gorki-Theater sein musiktheatralisches Projekt »Komitas« aufgeführt. Ende November 2015 feierte das gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern entwickelte Konzertprojekt »Aghet« seine Weltpremiere.